„Es geziemt sich ja wohl, daß der Hirte bei seiner Herde bleibt und mit ihr Freude und Leid gemeinsam trägt.“ Diese Zeilen schreibt Erzbischof Eduard Profittlich am 8. Februar 1941 in Tallinn angesichts der Annektierung Estlands durch die Sowjetunion an seine Familie in Deutschland. Kurz darauf wird der aus Birresdorf (Grafschaft) stammende Profittlich vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zum Tode verurteilt. Am 22. Februar 1942 stirbt er im Alter von 51 Jahren im Gefängnis von Kirov im Ural an Entkräftung. Der Brief kommt erst Jahre später in Deutschland an. Dort heißt es weiter, der Erzbischof habe zwar zunächst mit dem Entschluss, in Tallinn zu bleiben, gerungen, ihn dann aber trotz der absehbaren Gefahr „mit großer Freude“ gefasst: „Ich weiß, Gott wird mit mir sein. Mein Leben, und wenn es sein soll, mein Sterben, wird ein Leben und Sterben für Christus sein. Und das ist so überaus schön.“
2003 wurde das Seligsprechungsverfahren initiiert, inzwischen befindet es sich in der letzten Phase. Dazu gab es am 13. Juni eine Infoveranstaltung mit Bischof Dr. Stephan Ackermann im Trierer Priesterseminar, wo Profittlich einige Monate studiert hatte, bevor er 1913 in die Societas Jesu (Jesuitenorden) eintrat. Den Vortrag zu Leben und Wirken Profittlichs verlas Pater Tomasz Materna, die anschließende Diskussion führten Dr. Marge-Marie Paas aus dem Bistum Tallinn, Dr. Hans-Joachim Cristea (Leiter der Bibliothek des Priesterseminars Trier) und Dr. Thorsten Hoffmann (Bistum Trier), moderiert von Judith Rupp (Pressesprecherin des Bistums).
Paas ist Diözesanpostulatorin und somit für die Erstellung des Entwurfs der Seligsprechung, die „Positio“ verantwortlich. Im Gespräch mit dem Publikum ging es unter anderem darum, wie Profittlichs Vorbild wegweisend für „normale Christen” sein könne. Bischof Ackermann sagte dazu, es sei eine Bestärkung „für uns alle, dass ein solches Glaubenszeugnis aus unserer Mitte heraus möglich ist”. Die Gewissensentscheidung Profittlichs, sich nicht in Sicherheit zu bringen vor den Invasoren, sondern weiterhin an der Seite seiner Gemeinde zu stehen, lasse einem den Atem stocken und bringe die Heiligkeit ein Stück näher. Mit Blick auf die Herkunft Profittlichs, der im Rheinland geboren wurde, im Laufe seines Lebens mehrere Sprachen lernte und später die estnische Staatsbürgerschaft annahm, sagte der Bischof: „Es ist ein unglaublich aktuelles Zeugnis, denn es zeigt, dass Nationalität im Glauben eine untergeordnete Rolle spielt, dass nationalistische Grenzen überwunden werden können.” Die weltweite Gemeinschaft des Glaubens konkretisiere sich in diesem Zeugnis: „Es ist ein starkes Zeugnis, auch weil es zeigt: Es kostet etwas!” Die Seligsprechung selbst sei ein Akt des Glaubens. Heilige seien nicht nur ein Geschenk an die Gläubigen, sondern „ein Geschenk an die Menschheit”.
Erzbischöflicher Wahlspruch „Glaube und Frieden” aktueller denn je
Paas betonte das hohe Ansehen Profittlichs in der katholischen Gemeinde Estlands, die mit rund 8.000 Gläubigen die Kleinste Europas ist. Allerdings sei der Erzbischof, der durch seinen gewaltsamen Tod das Schicksal von zehntausenden Esten geteilt habe, auch für nicht-katholische Esten eine Identifikationsfigur. „Mit diesem Akt des Glaubens hat er auf sein Herz gehört und diese schwere Entscheidung getroffen.” Sein Vorbild könne ein Leitmodel sein, wie man in solchen Situationen vorgehen könne, so Paas. Bezugnehmend auf die derzeitige Aggression Russlands gegen die Ukraine sagte sie: „Der Krieg ist wieder an den Grenzen Estlands angekommen. Wir wissen nie, wie schnell sich die Umstände ändern können.” Für sie sei Profittlich auch „ein Verteidiger Estlands im Himmel”. Thorsten Hoffmann, Leiter der Diözesanstelle Weltkirche im Bistum Trier, nannte Profittlich einen „Weltbürger”, dessen Wirken vorbildhaft dafür sein könne, wie man mit anderen Kulturen umgehe. Auf die Frage, welche Botschaft Profittlich wohl heute an die Menschen hätte, antworte Paas mit dem bischöflichen Wahlspruch Profittlichs: „Glaube und Frieden”.
Das vatikanische Votum wird derweil mit Spannung erwartet. Sollte es positiv ausfallen, würde Profittlich, der der erste Bischof seit der Reformation in Estland war, auch der erste Selige der katholischen Kirche des baltischen Staates, dessen Katholikenanteil nur etwa 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung beträgt.
Kurzbiografie Eduard Profittlich
Profittlich war ab 1930 zunächst Gemeindepfarrer in Tallin und wurde am 11. Mai 1931 als Apostolischer Administrator Estlands eingesetzt. Am 27. November 1936 wurde er zum Titularerzbischof von Edirne benannt, und am 27. Dezember 1936 zum konsekrierten Erzbischof der Gemeindekirche des Doms St. Peter und St. Paul in Tallinn. Zugleich blieb er Apostolischer Administrator, womit er der erste katholische Bischof im vorrangig lutheranischen Estland seit der protestantischen Reformation wurde. 1935 erbat er und erhielt die estnische Staatsbürgerschaft. 1939, nachdem Estland in die UdSSR eingegliedert worden war, blieb er in Tallin. Er wurde 1941 verhaftet und nach Kirov in Russland verschleppt, wo er zum Tod durch ein Erschießungskommando verurteilt wurde. Am 22. Februar 1942 starb er im Kirov-Gefängnis, bevor das Urteil vollstreckt werden konnte.
Die Veranstaltung wurde organisiert von der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars in Kooperation mit der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Trier. Unterstützt wurde die Veranstaltung vom Bonifatiuswerk der Katholiken, dem Hilfswerk für Gläubige in der Diaspora. Weitere Informationen gibt es auf https://profittlich.eu/de/; einen Film über die estnische Apostolische Administratur gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=KgQsGUQPnhc.
Paulinus, Trier, 18.06.2024
Foto: Bistum Trier.