Tallinn, den 8. Februar 1941
Lieber Bruder,
Meine lieben Geschwister und Anverwandten!
Da ich nicht Allen einzeln schreiben kann, benutze ich die Gelegenheit, wo ich etwas ausführlicher schreiben kann, um Euch allen einen ausführlichen Brief zu schreiben: Und zunächst möchte ich Allen danken, die mir zu Neujahr und zum Namenstag geschrieben haben; noch besonderen Dank den Soldaten, die mir alle schreiben wollten, wenn auch nicht alle Briefe und Karte angekommen sind.
Damn möchte ich Euch allen noch einmal gemeinsam schreiben das, was jetzt gerade mein Herz erfüllt. Es wird das ein Abschiedsbrief sein, ein Abschiedsbrief vielleicht nur für Monate, vielleicht auch für Jahre, vielleicht auch für immer.
Ihr habt sicher gehört und in der Zeitung gelesen, daß noch einmal eine Umsiedlung von Deutschen aus den Baltenstaaten, Littauen, Lettland und Estland stattfinden soll. Diese hat jetzt begonnen und wird wohl bald beendet sein. Man hat mir dringend geraten, als Deutscher auch an dieser Umsiedlung teilzunehmen. Es gab verschiedene Gründe, die mir den Gedanken der Umsiedlung nahe legten. Ich kann diese Gründe nicht inn einzelnen darlegen. Jedenfalls waren die Gründe so stark, daß ich inich ernstlich mit dem Gedanken der Umsiedlung befaßte und schon nahe daran war, mich auch bei der Kommission zur Umsiedlung anzumelden. Da aber fìigten sich verschiedene Umstände in meinem Leben so ganz eigenartig, daß ich erkannte, daß es Gottes Wille sei, daß ich
hierbleibe. Den Ausschlag gab dann ein Telegramin aus Rom, aus dem ich ersah, daß dieser Entschluß auch dem Wunsche des Heiligen Vaters entspreche.
Wenn ich aber diese Entschlus fasse, dann ergeben sich daraus verschiedene Konsequenzen: die erste Konsequenz ist die, das ich nach Abfahrt der Deutschen und der Liquidierung der deutschen Gesandtschaft, die wohl Anfang März beendet sein wird, jede Korrespondenz mit Deutschland aufgeben mus. Wollte ich weiter mit deutschen Staatsbürgern brieflich verkehren, würde das als sehr verdächtig angesehen werden. Man würde in mir vielleicht einen deutschen Spion sehen und mich dementsprechend behandeln. Darum mus der heutige Brief mein letzter Brief sein. Ich kann nicht mehr schreiben, bis sich die Verhältnisse geändert haben werden. Und ich möchte auch Euch bitten, mir vorläufig nicht zu schreiben. Es könnte das für mich nur unangenehme Folgen haben.
Die zweite Konsequenz ist die, das ich mit meinem Hierbleiben verzichten mus auf allen Schutz, den ich als Deutschen Reiches genossen habe und das ich dann Sowjetbürger werde und mich restlos dem Sowjetstaateunterstelle. Da ihr wist, das der Sowjetstaat im Prinzip religionsfeindlich eingestellt ist, im besonderen aber die katholische Kirche mit schiefen Augen ansieht, werdet Ihr verstehen, das Kirche mit schiefen augen ansieht, werdet Ihr verstehen, das dieser Entschlus von weittragenden Folgen sein kann.
Bis jetzt ist die religiöse Lage etwa so: alle Kirchenhäuser mit einer Ausnahme sind verstaatlicht worden. Wir haben dadurch 8 Häuser verloren und damit 2 Kappellen. 3 Kirchen sind schon nationalisiert worden. Die anderen werden bald folgen. Es ist nur noch nicht sicher, ob man für die Benutzung der Kirchen wird Miete bezahlen müssen oder nicht. Wenn Mieten bezahlt werden müssen, werden diese wahrscheinlich sehr hoch sein, so hoch, wie etwa auch für mein Zimmer. Für dieses Zimmer, das ich jetzt habe, muste ich im vergangenenMonat 160 Rubel bezahlen, während ein Zimmer neben mir, das nur 2 Meter kleiner ist, nur 11 Rubel kostet. Für die Geistlichen wir eben die höchste Mietsnorm aufgestellt.
Wenn die Kirche auch ao hohe Mieten bezahlen müsten, müsten wir für unsere Kirche 2500 Rubel bezahlen, die wir natürlich nicht bezahlen können. Wir müsten also dann versuchen, entweder mit Lutheranern und Orthodoxen eine gemeinschaftliche Kirche zu mieten, oder den Gottesdienst an mehreren Stellen in Privatfamilien zu halten, was natürlich auch schwierig sein wird.
Sonst haben wir vorläufig zum Leben genug. Und die Leute opfern so viel, das wir wohl nicht zu hungern brauchen werden. Es sei denn, es käme Krieg, womit in Zukunft gerechnet werden musnn man auch noch nicht weis, wann das sein wird und wie sich dann alles gestalten wir. Aber sonst wird es wohl nicht am Notwendigsten zum Leben fehlen, so das ich deswegen keine Sorge habe.
Die einzige Gefahr, die mir drohen könnte, ist die das man anfangen würde, Priester von hier wegzuschicken oder zu verhaften. Bis jetzt ist das zwar noch nicht geschehen. Aber es ist möglich, das man hier in Zukunft stenger sein wird. Eine direkte Lebensgefahr wird wohl kaum bestehen, wenn nich eine Krankheit bei gröseren Strapazen sich einstellen würde, da Ihr wist, das meine Gesundheit nicht gerade die beste ist und mein Körper wohl nicht mehr so wiederstandsfähig ist. Doch fürchte ich nicht, das man besonders streng sein wird. Vielleicht wird man sogar vor einem katholischen Bishof doch eine gewisse Rücksicht zeigen, weil man doch in der Welt nicht in einem schlechten Lichte dastehen möchte. Direkte Lebensgefahr könnte eventuell im Falle eines Krieges eintreten.
Trotzdem also menschlich gesprochen die Zukunft nicht gerade angenehm sein wird, habe ich doch den Entschlus gefast, hier zu bleiben. Es geziemt sich ja wohl, das der Hirte bei seiner Herde bleibt und mit ihr Freud und Leid gemeinsam trägt. Und ich mus sagen, das der Entschlus zwar einige Wochen Vorbereitung kostere, ich ihn dann aber nicht etwa mit Furcht und Angst gefast habe, sondern sogar mit grose Freunde. Und als es dann endlich klar war, das ich bleiben solle, war meine Freude so gros, das ich vor Freude und Dank ein Te Deum gebetet habe. Überhaupt habe ich dabei so sehr das Gnadenwirken Gottes an meiner Seele gespürt, das ich mich wohl selten im Leben so glücklich gefühlt habe, wie am Donnerstagabend nach der Entscheidung und das ich noch nie die heilige Messe so andächtig gefeiert, wie am verganenen Freitag, dem Tag nach der Entscheidung. Ich hätte es jedem sagen mögen, wie gut doch Gott gegen uns ist, wenn wir uns ihm ganz hineben, wie glücklich man doch werden kann, wenn man bereit ist, alles, Freiheit und Leben für Christus dahinzugeben. Sichr haben um diese Zeit viele Menschen für mich gebetet, das Gott mir den rechten Weg zeigen möge und mir viel Gnade gebe.
Nie bin ich daher auch Gott so dankbar für die Gabe des Priesterum gewesen, wie in den letzten Tagen. Und das nicht nur deshalb, weil Gott so gut zu mir war, sondern auch, weil ich so viel Liebe und Dankbarkeit bei den Menschen fand, als sie hörten, das ich nun sicher hier bleiben werde. Gewis, äusberlich ist in den letzten Jahren viel zerstört worden von dem, was ich in den letzten 10 Jahren mit so viel Mühen und Sorgen aufzubauen versucht habe. Aber, von dem, was ich an den Seelen wirken durfte, ist docj viel gelieben. Und gerade manche von den Konvertiten, die ich in den letzten Jahren in die Kirche aufgenommen habe, zeigen eine ergeifende Liebe und Dankbarkeit für alles, was sie durch mich von Gott empfangen haben. So kann ich wirklich trotz allem dem lieben Gott nicht genug dankbar sein für alles das, was er mich hier hat wirken lassen.
Was nun die Zukunft angeht, so weis ich natürlich nicht, was kommen wird. Keiner kann die Entwicklung der Dinge mit Sicherheit voraussagen. Eines aber weis ich jetzt sicher: es ist der Wille Gottes, das ich hier bleibe und ich bin froch darüber und gehe mit grosem Vertauen der Zukunft entgegen. Was auch immer kommen mag, ich weis, Gott wird mit mir sein. Und dann wird schon alles gut sein. Und mein Leben und, wenn es sein soll, mein Sterben wird ein Leben und Sterben für Christus sein. Und das ist überaus schön.
Euch allen aber möhte ich noch einmal danken für all Eure Liebe, auch für die Opfer an Geld, die Ihr für unsere Mission gegeben habt. Gott möge es Euch vergelten un Euch alle reichlich segnen! Gerne werde ich meine Dankbarkeit auch am Altare beweisen. Wie ich auch um Euer Gebet von Herzen bitte. Wenn Ihr etwas Gutes für mich tun wollt, dann last gelegentlich eine heilige Messe für mich lesen. Vielleicht kann auch der Herr Pastor von Leimersdorf meine Landsleute um ihr Gebet bitten, damit Gott mir auch in Zukunft seine Gnade nich versage, damit ich in allem, was da kommen mag, meinem hohen, heilige Beruf und meiner Aufgaben tre bleibe und für Christus und sein Reich meine ganze Lebenskraft und, wenn es sein heiliger Wille ist, auch mein Leben hingeben darf. Das wäre wohl er schönste Abschlus meines Lebens.
Sollte es aber Gottes Wille sein, das ich die schwere Zeit durchlebe und vielleicht spärter noch etwas für den Neuaufbau der Kirche hier arbeiten kann, dann will ich auch dafür dankbar sein. Sobald es dann möglich ist, werde ich ein Lebenszeichen von mir geben.
So möge Gott uns alle in seinem heiligen Dienste und in seinem heiligen Glauben treu erhalten und uns alle segnen. Und aus der Ferne sende ich Euch allen des bischöflichen Segen, so als wenn ich noch ein letztes Mal unter Euch weile.
„Der Segen Gottes des Allmächtigen, des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes + komme über Euch alle und leibe bei Euch allzeit.
Amen
Mit hertzlichem Abschiedsgrus
Euer Eduard.